In uns lebt das Kind, das wir einmal waren

 

Du hast deine Kindheit vergessen,
aus den Tiefen deiner Seele wirbt sie um dich.
Sie wird dich so lange leiden machen, bis du sie erhörst.
Hermann Hesse (aus Narziß und Goldmund)


In uns lebt das Kind, das wir einmal waren

Jeder von uns kennt Situationen, in denen er auf etwas allergisch reagiert. Egal, ob dies ein Mensch ist, der eine bestimmte Reaktion in uns auslöst, oder eine Situation, die uns fordert. Etwas in uns lässt uns aufbrausend mitunter sogar richtig wütend sein. Wir reagieren aufgebracht, impulsiv, obwohl wir das gar nicht wollten. Können es uns nicht wirklich erklären, warum wir jetzt gerade so überreagieren. Doch wir können es nicht verhindern, da die Emotionen schneller hochkommen und sich entladen, als wir dies wollen. Etwas „brodelt“ in uns, das wir nicht einmal richtig benennen können. Im Grunde genommen erschrecken wir vor uns selbst und scheuen vor dieser aggressiven Energie in uns zurück. Lehnen sie ab. Wissen nicht wirklich mit ihr umzugehen ....

Es kann aber auch sein, dass wir uns zurückziehen, weil wir die Konfrontation mit dem anderen scheuen. Wir fühlen uns so tief gekränkt, dass wir uns fürs Erste abwenden und mit uns allein sein müssen. Wir sind zutiefst verletzt. Brauchen gebührenden Abstand. Müssen für uns sein, um das, was da gerade geschah, überhaupt erst einmal wahrzunehmen, um es überhaupt zu verstehen. .....

Egal wie wir situativ handeln, wir müssen uns fragen: Woher kommt diese starke Emotion? -Warum reagiere ich hinsichtlich dieses Themas oder der Person so allergisch? - Was löst das in mir aus? - Was tut hier so weh? - An was erinnert es mich? - Wird hier ein alter Schmerz aus meiner Kindheit wachgerufen? ..... Übertrage ich ein Problem, das ich im Alter von „....“ mit Papa, Mama hatte auf meinen Mann, auf diesen Kollegen, auf den Nachbarn? ....

Das innere Kind ist Repräsentant für alles in der Kindheit erlebte. Es hat Zugang zu unserem Unterbewusstsein, indem – wie in einer Datenbank – alle Emotionen, Erinnerungen und Erfahrungen aus dieser Zeit gespeichert sind. Neben Erlebnissen sind dort unsere Glaubenssätze, Überzeugungen und Gefühle gespeichert, die noch heute maßgeblich beeinflussen, wie wir reagieren. Mit den positiven Erinnerungen zu leben ist einfach. Sie sind für jeden von uns bereichernd. Ganz anders schaut es da mit den negativen Erfahrungen sowie den daraus resultierenden Glaubenssätzen und den damit einhergehenden belastenden Gefühlen unserer Kindheit aus. Ungefragt nehmen sie immer und immer wieder Einfluss auf unser Leben, bestimmen unser Denken, Handeln und Sein und transportieren vor allem unverarbeitete und somit auch nicht aufgelöste Emotionen und Ängste mit sich.

Das innere Kind ist eine der vielen Teilpersönlichkeiten, die wir in uns tragen, so wie zum Beispiel den inneren Kritiker, den strengen Richter, den Berater, den Perfektionisten, den Rebellen, den Intellektuellen oder die Powerfrau, die sensible Sanfte, die aufopferungsvolle Mutter etc. - All diese Teile unseres Selbst agieren aus unserem Unterbewusstsein heraus und beeinflussen so unsere Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen.

Egal wie alt wir sind, wir alle haben in uns dieses innere Kind. Uns mit seinen positiven Anteilen wie Freude, Stärke, Sicherheit, Kreativität, Harmonie, Leichtigkeit, Klarheit usw. zu identifizieren, die das „Sonnenkind“ in uns aufleben lassen, das fällt uns nicht schwer.

Was wir scheuen, ist die Auseinandersetzung mit den Anteilen des „Schattenkindes“, das sich uns je nach Situation im Gewand negativer Gefühle wie Trauer, Verletzung, Angst, Verzweiflung, Wut, Schuld, Ablehnung usw. zeigt. Wir werden diese Gefühle so lange erleben, uns selbst immer und immer wieder in entsprechende Situationen bringen, in denen wir mit den erlernten Mustern der Kindheit konfrontiert werden, bis wir uns ihrer bewusst werden und infolge davon beschließen, unser Verhalten von Grund auf zu ändern. Das Universum gibt uns ausreichend Gelegenheit dazu, uns ein Verhaltens- und Glaubensmuster nach dem anderen anzuschauen. Entwicklung heißt: unseren Ängsten zu begegnen, sie anzuschauen und zu transformieren.

Zudem gilt es zu verstehen, dass wir, gefangen in schmerzhaften Gefühlen und Ängsten, in aller Regel auch positive Gefühle nicht mehr richtig wahrnehmen und empfinden können. So verlieren wir nach und nach den Kontakt zu anderen aber auch zu uns selbst.

Es entsteht eine innere Leere. Wir ziehen uns zurück. Die Gefühle der Einsamkeit, des Ungeliebt seins verstärken sich. Aufgrund von Isolation verhindern wir tiefere Begegnungen mit anderen. Bauen um unser Herz einen Schutzwall auf. Oder wir passen uns den Erwartungen anderer viel zu sehr an, um vielleicht doch noch irgendwie in ein soziales Netz eingebunden zu sein. Doch damit verstärken wir den „Teufelskreis“ negativen Erlebens in uns selbst. Bleiben unter Umständen als „Gefangene dieser Emotionen“ zurück und unterdrücken viel zu sehr unsere eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle.

Ob wir wollen oder nicht: Je mehr wir negative Erinnerungen und Gefühle von Mangel an Liebe, Mangel an Aufmerksamkeit und Wertschätzung, Schmerz, emotionalen bzw. körperlichen Missbrauch usw. abspalten, desto mehr melden sie sich. Sie sind Teil unserer Geschichte und nicht nur dies. Sie sind mehr oder weniger auch Teil der Geschichte unserer Familie und Ahnen. Auch wenn jedes Familienmitglied seine ihm eigene Art hat, mit dieser Art von „Erbe“ umzugehen, wirkt diese Energie unbewusst mit. Wie sehr sie sich uns jedoch zeigt und in uns lebt, steht im Zusammenhang mit unserer Seelenaufgabe, die wir vor unserer Inkarnation in Absprache mit den Mitgliedern unserer Seelenfamilie getroffen haben. Haben wir damals entschieden, dieses „Familien-Erbe“ anzutreten, um es zu lösen, dann besteht unsere Aufgabe heute darin, uns diese alten emotionalen Geschichten anzuschauen, uns ihrer bewusst zu werden, um sie letztlich in Liebe anzunehmen und zu integrieren, denn auch sie sind ein wichtiger Teil von uns. Sie gehören zu uns. Sind Teil unserer Biografie und haben uns zu genau dem Menschen gemacht, der wir heute sind.

Das heißt: Wir erschaffen uns – wenn auch unbewusst - solange Situationen, in denen wir „leiden“, bis wir gewillt sind, unsere Hausaufgaben zu machen und uns die Themen genauer
anschauen, die uns im Hinblick auf unsere Vergangenheit als Kind hindern, in uns ganz, heil und gesund zu werden.

Statt das Unangenehme weiterhin zu verdrängen sollten wir als der Erwachsene, der wir heute sind, auf diese schmerzhaften Gefühle und Anteile schauen. Erkennen, was in Wahrheit ihre Botschaft ist. Uns bewusst werden, was es zu verändern, zu lernen gibt und diese Anteile, die bislang unbewusst unser Verhalten gesteuert haben, integrieren. Um ein glückliches, befreites Leben zu führen, Liebe empfangen als auch geben zu können, ist es wichtig, mit dem Kind in uns in Kontakt zu sein. Nur so können die alten Wunden nach und nach heilen und Neues kann entstehen.  

Es gilt: Indem wir uns auf das positiv Machbare statt auf das Problem fokussieren, nehmen wir ihm die Macht. Setzen damit ungeahnte Energien frei. Kommen wieder in unsere Kraft. Hier finden wir dann auch die Lösungen, derer es bedarf, weil wir nicht mehr aus der Angst heraus handeln, sondern aus Mitgefühl, Verständnis und Liebe.

So verändert sich das Spiel von Ohnmacht und Macht, indem wir als Spielleiter und Regisseur unseres Lebens die Regeln für dieses Spiel neu definieren und unseren Fokus auf das Spiel entscheidend verändern. Wie eine konkrete Situation im Leben wirklich zu deuten ist, ist eine Frage unserer Haltung und unseres Bewusstseins. WIR spielen das Spiel. WIR treffen die Entscheidungen. WIR erschaffen uns unsere Realität.

Eine DVD, die ich jedem Leser in diesem Zusammenhang nur empfehlen kann, ist die DVD Wie wir werden, was wir sind, in der der Zellbiologe und Pionier der prä- und perinatalen Entwicklung Dr. Bruce Lipton auf leicht verständliche Art und Weise neue wissenschaftliche Erkenntnisse mitteilt und mit einem bildreichen Vortrag die Mechanismen erklärt, wie sich die Überzeugungen und Emotionen unserer Eltern auf die Entwicklung des genetischen Codes der Kinder auswirken. Bruce Lipton zeigt auf, wie unsere prä- und perinatalen Erfahrungen eine Art biologische Vorgabe bilden, die für unsere Gesundheit, unser Verhalten, unsere Einstellungen und unsere Beziehungen von fundamentaler Bedeutung sind, da sie entweder bewusst oder unbewusst unser Leben bestimmen.

Ein „Spiel“ über Generationen hinweg gespielt, das wir nur dadurch beenden können, indem wir selbst zum Regisseur, zum Hauptdarsteller, zum Akteur, zum Meister des Lebens werden. Um bei diesem Spiel erfolgreich zu sein und gewinnen zu können, gilt es uns der unbewussten Anteile bewusst zu werden und sie in unser Dasein zu integrieren.

Ob wir uns letztlich als „Sieger“ oder „Verlierer“ sehen, darüber entscheiden wir ganz allein. Die Verantwortung darüber hat Gott in unsere Hände gelegt. Jeder von uns hat den freien Willen zu entscheiden, welche Rolle er einnehmen will. Wir sollten es uns wert sein, das Beste daraus zu machen. Finden Sie nicht auch?

Doch wie finden wir heraus aus Ohnmacht, Unzufriedenheit und Angst? - Ziel sollte es sein, eine gute Verbindung zwischen dem inneren Kind und dem mitfühlenden, liebevollen Erwachsenen in uns herzustellen. Dafür ist es nötig, dass sich der erwachsene Teil in uns bewusst dafür entscheidet, in einem ersten Schritt das Kind mit allem anzunehmen, was es in sich vereint, ohne irgendetwas davon zu bewerten.  
In einem nächsten Schritt gilt es aus der Perspektive des Erwachsenen heraus zu prüfen, inwiefern diese ganzen negativen Glaubenssätze und Gedanken überhaupt noch eine Daseinsberechtigung haben. Entspricht diese „scheinbare Wahrheit“ denn überhaupt meiner „inneren Wahrheit“? - Falsche Glaubenssätze können uns eine wunderbare Orientierungshilfe sein, um bessere Glaubensmuster und Überzeugungen zu formulieren, nach denen wir künftig leben wollen.

Sind wir als Erwachsene in einer bewusst liebevollen Verbindung mit unserem inneren Kind, erleben wir das ganze Leben anders. Dadurch, dass wir jetzt mit uns selbst verbunden sind, fühlen wir uns auch wieder mit den Menschen, allen Lebewesen und der Natur verbunden. Und genau diese Verbindung ist es, die uns letztlich Halt gibt und stärkt. Jetzt kommen wir wieder in unsere Kraft, können Verantwortung übernehmen und gut für uns sorgen. Durch diesen Einklang mit uns selbst werden wir zusehends auch wieder freier und unabhängiger vom Wohlwollen und der Meinung anderer und finden stattdessen wieder zurück in die Harmonie, die sich uns nach und nach dann auch immer wieder mehr im Außen zeigt.   

In unserer geschäftigen und lauten Welt, in der wir heute leben, ist es kein Wunder, dass sich das Kind in uns immer wieder mal übergangen fühlt. Es will wahrgenommen, gesehen, wertgeschätzt und geliebt werden. Dafür steht es. Daran erinnert es uns. Arbeiten wir mit dem Kind zusammen, ist es glücklich und kooperativ statt verstört, ängstlich und aggressiv. Wenn wir ihm zuhören, es wertschätzen und lieben, dann wertschätzen und lieben wir uns selbst.

Doch wie können wir einen guten Kontakt zu diesem kleinen Wesen aufbauen und pflegen? - Am besten fragen wir es selbst, denn so fühlt es sich nicht übergangen, sondern gehört. Ich habe mein Kind zum Beispiel gefragt, welchen Namen ich ihm geben soll. Die Antwort kam prompt. Seitdem heißt meine Kleine „Bella“. - „Die Hübsche“, „die Schöne“. Dieser Name tut uns beiden gut, denn er erinnert mich stets daran, was für ein wunderbares Wesen dieses zauberhafte Kind ist.

Wir können unseren Kontakt zum inneren Kind auch dadurch beleben, dass wir Gespräche mit ihm führen und so unsere Gedanken mit ihm teilen. Dass wir mit ihm spazieren gehen und ihm die Welt des Erwachsenen zeigen und erklären.

Wir können ihm einen Brief schreiben und auf diese Art Gefühle mit ihm teilen. Mit ihm tanzen, malen, singen, musizieren usw. Uns daran erinnern, was wir als Kind gerne getan haben. Wie wir damals ganz selbstvergessen unsere Zeit verbrachten. Es liebt es, wenn wir uns ihm wieder einmal kreativ und verspielt zuwenden. Wir können ihm aber auch in aller Stille begegnen mit Traumreisen und geführten Meditationen. Uns sind da keine Grenzen gesetzt.

Wichtig ist allein mit dem Kind in Kontakt zu sein und diese gemeinsame Zeit zu genießen. Das muss nicht lange sein. Schon eine Viertelstunde „Kind-Zeit“ am Tag tut gut. Es geht allein darum uns als Kopfmensch die Erlaubnis zu geben, aus dem reinen im Kopf-Sein auszusteigen, zu entspannen und dafür wieder einmal ganz im Herzen zu sein.
Das kann vor allem für die unter uns wichtig sein, die keine eigenen Kinder haben. Ihnen fehlt manchmal der Zugang zu ihrem inneren Kind. Doch es erleichtert viel, wenn wir uns wieder daran erinnern, dass das Leben leicht, verspielt und verträumt sein darf. Wir dürfen fürsorglicher, sanfter und mitfühlender mit uns sein. Letztlich können wir in allen Lebensbereichen davon profitieren, weil wir dann viel mehr in Ausgeglichenheit und Harmonie mit uns selbst sind. Das zeigt sich uns dann auch im Kontakt mit anderen. Egal ob beruflich oder privat. Harmonie in mir zieht Harmonie im Außen an. Friede in mir zieht Friede im Außen an. Liebe in mir zieht Liebe im Außen an. Kurzum: Es wirkt das  Resonanzgesetz! .....


In Licht & Liebe
Hermine Merkl